"Las Barias" Dominikanische Republik

Entstehung der Projektidee

Freundschaftliche Kontakte und familiäre Bindungen in die Dominikanische Republik, sowie die praktische Berufserfahrung und das wissenschaftliche Interesse an der Jugendhilfe veranlassten uns, ein intensivpädagogisches Auslandsprojekt ins Leben zu rufen. Standort dieses Projektes ist das Bergdorf Las Barias im Süden der Dominikanischen Republik.

Das vermehrte Interesse an erlebnis- und handlungsorientierten Projekten im Ausland mit Jugendlichen und der Blick auf die heutige Jugendhilfe, die mit ihrer wirtschaftlichen Unterversorgung und den gegenwärtigen rationalisierten, ausdifferenzierten Systemen, sowie primär diskursiven Praxisformen offenbar zunehmend auf Akzeptanzprobleme bei den Jugendlichen stösst, verweisen auf die vernachlässigte und durch blossen Diskurs nicht zu ersetzende Dimension erlebnispädagogischer Projekte.

Der Erfolg des Projektes in Las Barias hängt neben der Kompetenz und dem Engagement der Mitarbeiter massgeblich von den Impulsen der Eigen- und Fremdkonstruktion relevanter Lernumgebungen ab. Soziales Lernen ist überwiegend informelles Lernen. Die Sozialisation und das kulturelle Umfeld des Dorfes in dem das Projekt beheimatet ist, bietet eine natürliche Lernumgebung, die informelles Lernen sozialer Handlungskompetenz und Solidarität im Gegensatz zu unserer reizüberfluteten und auf Konsum ausgerichteten Gesellschaft begünstigen. Die Entfernung vom Heimatland, die fremde Umgebung und die Mentalität der einheimischen Bevölkerung sind die herausragenden Ressourcen des Projektes, die während der Betreuungsphase pädagogisch genutzt werden.

Zielgruppe und Zuweisungsgründe

Das Projekt richtet sich an junge Menschen, deren soziale Kontakte einen eindeutig negativen Einfluss auf ihre Biographie ausüben. Aufgrund ihrer bisherigen problembehafteten, meist jeglicher Normalität entbehrenden Lebenserfahrung, haben die Jugendlichen Schwierigkeiten am gesellschaftlichen Leben zu partizipieren. Der Zugang zu Bildung, Familienglück, selbstbewusster Autonomie, sozialer Handlungskompetenz, materiellem Wohlstand und gesellschaftlichen Fortschritt bleibt ihnen versagt. Die Jugendlichen neigen in ihrer Perspektivlosigkeit zu Resignation und versuchen fehlende Abenteuer und Erfolgserlebnisse durch gesellschaftlich nicht akzeptierte Handlungsweisen zu kompensieren. Ihr Scheitern im Lebensalltag wird als individuelles Versagen, als beschädigtes Selbstbewusstsein erlebt. Die Konsequenzen sind Aggression und Resignation, wiederholt kriminelles Verhalten und Selbstgefährdung. Das wohl wichtigste Zuweisungskriterium für ein solches Projekt ist die Notwendigkeit der Herauslösung der Jugendlichen aus allen Bezügen zum bisherigen Milieu, da oft nur so ein Wendepunkt in der bisher problematischen Lebensführung erreicht und somit ein Neuanfang markiert werden kann. Diese große zeitliche, räumliche und kulturelle Distanz zum Herkunftsmilieu bedeutet ein Bruch zu den bisherigen negativ besetzten sozialen Bezugspunkten. Dieser „Bruch" ist jedoch ein  notwendiger Schritt um eine Neuorientierung zu ermöglichen. In manchen Fällen ist die Erfahrung neuer Lebenswelten die einzige Möglichkeit für eine dauerhafte Veränderung. Hierbei ist es entscheidend einen anderen Alltag über eine längere Zeit zu leben, weit ab vom Einfluss des bisher bestimmenden sozialen Umfeldes.

Ausschlusskriterien sind akute Abhängigkeit von „harten Drogen“ und

schwere psychische Krankheiten.

Pädagogische Mittel und Ziele

Die freiwillige Beteiligung an diesem Projekt stellt einen ersten wichtigen Schritt in der Bereitschaft des Jugendlichen zur Veränderung seines bisherigen Lebens dar. Das Eintauchen in eine fremde Kultur, die völlig neue, ungewohnte Umgebung und die mit der Entfernung und der Notwendigkeit von Fremdsprachenkenntnissen verbundenen geringeren Möglichkeiten des Ausreissens einerseits, ermöglichen andererseits einen raschen, unkomplizierten auf Vertrauen basierenden Beziehungsaufbau zwischen dem jungen Menschen und der betreuenden Fachkraft. Dies ist eine der wichtigsten Vorraussetzungen um weitere Ziele, in dieser besonderen „Lebensgemeinschaft auf Zeit“ zu ermöglichen. Dieser Phase des Vertrauensaufbaus kommt eine besondere Bedeutung zu, weil viele dieser Jugendlichen aufgrund oft traumatisch erlittener Beziehungsabbrüche meist auch einer professionellen Betreuung  misstrauisch gegenüber stehen. Mit der Aufnahme des Jugendlichen in einem geschützten Rahmen unter diesen speziellen Bedingungen die dieses Projekt bietet, wird ein Zugang zum Jugendlichen ermöglicht, der ihn und seine tatsächliche Problematik erkennen lässt.

Das besondere kulturelle Umfeld in dem Projekt fördert ein informelles Lernen sozialer Handlungskompetenz. So werden zum Beispiel während der täglich notwendigen Arbeiten zur Deckung des Lebensunterhalts, die zum Alltag Aller gehören, ohne ein besonderes pädagogisches Setting gemeinsam mit Betreuern und Einheimischen Beziehungsfähigkeit, Selbstvertrauen, Konfliktfähigkeit, Willenstärke und Ausdauer trainiert. Die Jugendlichen lernen Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Eine Notwendigkeit, die das Leben in den Bergen am „Rande der Zivilisation“ erfordert.

Die für Europäer verblüffende Freundlichkeit und Unkompliziertheit der Dominikaner, insbesondere der Einwohner des Dorfes Fremden gegenüber, erleichtern den für die Jugendlichen oft schwierigen Prozess der Integration. Durch die gute Anbindung des Projektes an das einheimische Umfeld wird die Gefahr der Ausgrenzung weitgehend ausgeschlossen.Ein weiteres Kriterium zur Legitimation unseres Projektes im Jugendhilfebereich ist eine Problemanalyse, die darauf verweist, dass deviantes Verhalten von Jugendlichen zu einem Gutteil als Ausdruck ihres entwicklungsbedingt immer schon großen und in unserer Gesellschaft noch gesteigerten Abenteuer- und Erlebnisbedürfnisses angesehen werden kann, für das aber in unserer durchreglementierten Konsumgesellschaft immer weniger Räume und Möglichkeiten verfügbar sind. Vor allem jene Jugendlichen, denen die Ressourcen fehlen, um diese Anregungs- und Erlebnisarmut der alltäglichen Lebensräume durch die Teilnahme am kommerziellen Erlebnismarkt zu kompensieren, leben ihre Abenteuerlust dann unter Umständen in gesellschaftlich nicht tragbaren Formen aus. Das Projekt in Las Barias bietet Situationen, in denen Jugendliche Erlebnisse, Lern- und Grenzerfahrungen mit sich, mit anderen Menschen und mit der Natur machen können, die in ihrer bisherigen Alltagssituation nicht möglich waren. Das Projekt soll und will somit Jugendlichen Abenteuer und Erfahrungen ermöglichen, die nicht vor den Richter führen. In der Umgebung, in der das Projekt beheimatet ist, fällt die gewohnte Reizüberflutung von Konsumgütern weg. Die Menschen in Las Barias leben überwiegend von dem, was ihnen die unmittelbare Natur in den Bergen zu bieten hat. Dadurch lernen die Jugendlichen auf natürliche Weise Bedürfnisse realistisch einzuordnen und/oder aufzuschieben.

Kulturelles Umfeld

Auch wenn die Entfernung vom Heimatland die Chance eines Neuanfangs begünstigt und das fremde Umfeld die Möglichkeit des Ausreissens einschränkt, ist die hervorzuhebende Ressource des Projektes die Mentalität der Einwohner in Las Barias. Das tropisch-konstante Klima in den Bergen, die dschungelartige  Umgebung des Dorfes und die karibische Mentalität sind für Menschen, die diese Region des Landes zum ersten mal besuchen, zunächst einmal an Fremdheit kaum zu überbieten. Das Dorf Las Barias ist eine solidarische Gemeinschaft in der jeder Einzelne durch seine individuellen Fähigkeiten zum Leben und Überleben Aller beiträgt. Geld und materieller Besitz haben einen anderen Stellenwert, als wir es von unserer Gesellschaft her gewohnt sind: Reich ist – so sagt man – wer viele Freunde hat. Ein Konsumzwang, wie wir Europäer ihn kennen, ist den Menschen in der Karibik weitgehend fremd. Eine Reizüberflutung von westlichen Konsumgütern gibt es in dieser Region des Landes nicht. Gekocht wird immer noch überwiegend auf offenem Feuer und zwar in erster Linie das, was die unmittelbare Natur an Lebensmittel zu bieten hat.

Dr. Philip A. Potter (Theologe) schrieb 1994 über die Menschen Hispaniolas: „(...) so arm die Menschen auf dem Land waren, so waren sie es doch, die mich verstehen lehrten, was menschliche Würde und Integrität ausmacht. Sie lehrten mich den Mut zum Leben, zum Leben mit und für andere. In dieser Grundhaltung liegt die tiefste Wurzel des Widerstands, den dieses Volk leistet, das so ausgebeutet und geschändet wird und das doch zugleich so lebendig und schöpferisch ist. Was ich damals bei diesen Menschen entdecken und erfahren durfte, hat mein Leben geprägt und auch mein berufliches Wirken in Europa nachhaltig beeinflusst“. Die Dominikaner sind ein entwaffnend freundliches und lebenslustiges Volk. „Kein Problem, mein Freund“ – geht ihnen nicht nur leicht von der Zunge, sie glauben auch daran. In einem Land, in dem tägliche, stundenlange Stromausfälle zur Normalität gehören, in dem im Bus zwei, wenn nicht gar drei Menschen auf einen Platz sitzen, bleibt gar keine andere Wahl. Man nimmt es wie es kommt – und lacht. Nur respektlos sollte man ihnen nicht gegenübertreten, denn respektloses Verhalten ist für die Dominikaner eine schwere Beleidigung der menschlichen Würde und wird sozial hart bestraft.

Beschäftigung vor Ort

Nach einer Zeit in der sich die jungen Menschen an das Klima und an die Umgebung gewöhnt haben, werden sie in die täglich anfallenden Aufgaben des Lebens und Überlebens einbezogen. Dazu gehören z.B. Feuerholz sammeln, sich um den täglichen Wasserbedarf kümmern, sowie landwirtschaftliche Tätigkeiten die notwendig sind, um den täglichen Lebensmittelbedarf zu decken. Gelingt es hierzu eine Kooperation mit den Jugendlichen aufzubauen, werden sie Schritt für Schritt an größere Aufgaben und Herausforderungen herangeführt, wie der Bau von Bewässerungsanlagen und landestypischen Häusern. Die Menschen im Dorf sind ein handwerklich sehr pragmatisch und geschicktes Volk, so das sich für die Jugendlichen ein vielfältiges Beschäftigungsfeld eröffnet. Darüber hinaus sind gemeinnützige Arbeiten geplant, wie z.B. die Renovierung der Dorfschule. Alle anfallenden Tätigkeiten werden nach Fähigkeiten der Jugendlichen gemeinsam mit den Betreuern und Einheimischen verrichtet. Durch die fremdartige Umgebung kommen Ressourcen, Fähig- und Fertigkeiten zu Tage, die in Deutschland, insbesondere in der Schule, bisher keine Anerkennung fanden. Das dadurch entstehende positive Feedback innerhalb der Gemeinschaft stärkt das Selbstvertrauen und das Selbstwertgefühl der Jugendlichen.

Fernsehen und Computerspiele gehören nicht zu den landestypischen Freizeitgestaltungen und sind vor Ort ohnehin nicht möglich. Dadurch sind die Jugendlichen angewiesen, sich mit ihrer eigenen Phantasie, dem Umfeld, den Betreuern und den Einheimischen auseinanderzusetzen bzw. zu beschäftigen. Die jungen Menschen im Dorf spielen in ihrer Freizeit beispielsweise gerne Baseball, gehen Schwimmen oder tanzen Breakedance.

Vor- und Nachbetreuung – Erfahrungstransfer

Der Erfolg einer umfassenden erlebnispädagogischen Hilfe hängt neben der Projektphase massgeblich von der Qualität einer kompetenten Vor und Nachbetreuung ab. Um diesen Ansprüchen genüge zu tun, werden projektbezogene Kooperationen mit verschiedenen freien ambulanten und stationären Jugendhilfeinstitutionen, insbesondere Wohngruppen, Pflegefamilien und Jugendpsychiatrien angestrebt.

Eine weitere Ressource des Standprojektes in Las Barias stellt die individuelle Möglichkeit einer aktiven Teilnahme von Fachkräften externer Institutionen am erlebnispädagogischem Projekt dar. So kann im Einzelfall Beziehungsabbrüchen vorgebeugt werden, sofern sich die Jugendlichen bereits in einer intensivpädagogischen Massnahme befinden. Zusammen mit dem pädagogischen Personal vor Ort wird so den Jugendlichen eine lückenlose personenbezogene Vor- und Nachbetreuung, sowie der für die Hilfe notwendige Wissens- und Erfahrungstransfer ermöglicht.

Um eine hohe Flexibilität in diesem Kontext zu gewährleisten steht das Betreuungspersonal des Projektes nach vorheriger Absprache, bezogen auf den individuellen Einzelfall, ebenfalls für eine Vor- bzw. Nachbetreuung zur Verfügung.

Ziel ist es so den Jugendlichen nach ihrer Rückkehr in ihr Heimatland Hilfestellung bei der Umsetzung des neu Erlernten und Erfahrenen zu geben, ohne das sie ein Gefühl des Verlustes erleben müssen.

Im Rahmen der Vorbetreuung soll die Freiwilligkeit und Entschlossenheit zur Teilnahme am Projekt sichergestellt werden. Zudem befasst sich diese Betreuungsphase gemeinsam mit den Jugendlichen um die Reisevorbereitungen (Reisepass, Impfbuch etc.) und dem Transfer zum Projektort.

Das Standprojekt in Las Barias bietet eine Vielzahl individueller Möglichkeiten und eine hohe Flexibilität, welches eine umfassende Hilfe gerade auch unter besonderer Berücksichtigung einer intensiven Vor- und Nachbetreuung garantiert. Aus diesem Grunde richtet sich das qualitativ hohe pädagogische Angebot des Standprojektes vornehmlich an renommierte Jugendhilfeinstitutionen. Eine partnerschaftliche,

 transparente Zusammenarbeit auf allen Ebenen, die für eine hochwertige,

umfassende Hilfe notwendig ist, wird selbstverständlich vorrausgesetzt.

Betreuungskapazität und Personal

Die Jugendlichen leben vor Ort zusammen mit den Betreuern in einem Haus, das Platz für insgesamt 15 Personen bietet. Auch wenn das tägliche Leben in Las Barias überwiegend unter freiem Himmel stattfindet, stehen den Jugendlichen und den Betreuern im Haus insgesamt acht Zimmer, die teilweise mit integrierter Nasszelle ausgestattet sind, zur Verfügung.

Darüber hinaus gibt es im Haus ein Gemeinschafts- bzw. Esssaal, sowie eine geräumige Küche.

Die Betreuungskapazität liegt derzeit bei drei (3) Jugendlichen; betreut werden Mädchen und Jungen im Alter zwischen 13 und 18 Jahren.

Neben der Mitwirkung des gesamten Dorfes am Projekt, setzt sich das

Betreuungsteam vor Ort zusammen aus:

Jürgen Rechner, Alter: 38, Beruf: Diplom-Pädagoge.

Thorsten Dittmann, Alter 39, Beruf: Strassenbauer.

Dominga Carvajal de Dittmann, Alter 34, Beruf: Hotelfachfrau.